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Stell Dir vor, du gehst auf einer Reise.

Diese Reise beginnt in neun Monaten. Tag für Tag wächst die Vorfreude. Tag für Tag freust Du Dich mehr auf diese anstehende Reise. Du triffst Vorbereitungen und wählst das Zielland deiner Träume. Du weißt schon ganz genau, wohin es geht und Dir fallen auch gleich die ersten Orte und Städte ein, die du besuchen möchtest. Du findest heraus, mit welchem Verkehrsmittel Du am besten dieses Land bereisen kannst und was Du genau dafür benötigst. Du wirst dich erkundigen, welche Versicherung Du möglicherweise abschließen und welche anderen Vorkehrungen Du außerdem treffen solltest. Du liest Dich ein in Sitte und Brauch, in die Kultur dieses Landes. Im Laufe der Vorbereitungen kaufst Du noch die letzten Dinge für die Reise ein. Zwei Tage vor Abreise packst Du Deinen Koffer, richtest Deinen Rucksack und legst alles in die Tasche.

Die Reise beginnt. Deine Reise beginnt.

Was Du nicht weißt ist, wie lange diese Reise gehen wird. Doch davon lässt Du Dich nicht aus der Ruhe bringen. Schritt für Schritt planst und erlebst Du Deine Reise. Du nimmst alles mit, was Du erleben kannst. Etappe für Etappe bereitest Du Dich vor und gehst immer wieder weiter.

Circa zwei Drittel Deiner Reise ist genau durchgeplant. Die Eckdaten stehen und Du weißt, wohin Du möchtest. Ob es wirklich so kommt, wie Du geplant hast, weißt Du natürlich nicht. Und doch verfolgst Du weiter Deine Ziele. Deine Ziele für zwei Drittel Deiner Reise.

Und das letzte Drittel?

Nichts. Keine Gedanken, keine Pläne, keine Ziele.

Mit dem letztes Drittel Deiner Reise möchtest Du Dich am liebsten gar nicht auseinandersetzen. Schließlich bedeutet das letzte Drittel auch: die Reise geht zu Ende. Abschied nehmen, loslassen, sich verabschieden, nach Hause reisen. Themen, die eher unangenehm sind und mit Schmerz, Trauer und Verlust verbunden sind.

Doch, was ist das eigentliche Ziel einer Reise? Also das eigentliche Ziel Deiner Reise – neben Kultur, Mensch und Land kennenzulernen?

Mein eigentliches Reiseziel lernte ich auf die eher unschöne Weise kennen. Vier Jahre sind seitdem vergangen. Ich war schon viele Male unterwegs in meinem Leben und auch weit genug weg von zuhause. Doch nie zuvor kam mir dieser eine Gedanke in den Sinn: Wer verspricht Dir eigentlich, dass Du wieder sicher nach Hause kommst?
Niemand. Dieser Gedanke machte mich traurig, aber auch hellhörig. Vor meiner Abreise lud ich noch meine Familie zum Kaffee und Kuchen ein, um sie alle nochmal gesehen zu haben und mich zumindest anständig zu verabschieden. Mit einem mulmigen Gefühl stieg ich in das Flugzeug und begann meine Reise.
Und es kam so, wie es wohl kommen musste. Am 10. Tag meiner Reise fuhr ich zusammen mit meinem Bruder auf einem Motorroller. Er fuhr, ich hielt mich hinten an ihm fest. Es war dunkel und am Regnen. Wir trugen beide keinen Helm. Wir fuhren – für mein Gefühl etwas zu schnell – und näherten uns einem langen Lastzug. Wir scherten aus, vollzogen ein Überholmanöver und scherten zurück auf unsere Fahrbahn. Sofort kam eine Linkskurve. In diesem Moment zog das Hinterrad zur Seite. Wir verloren das Gleichgewicht, schlugen links auf und schlitterten seitlich über die Straße hinein ins sichere Aus. Das uns entgegenkommende Auto verpassten wir um wenige Meter.

Wir hatten Glück im Unglück. Es war nichts passiert. Außer ein paar Schürfwunden und Prellungen ging es meinem Bruder und mir gut. Eine klare Erkenntnis schoss mir wenige Stunden nach unserem Unfall in den Kopf und es wurde mir noch mal besonders bewusst: Ich will wieder sicher nach Hause kommen!

So habe ich jeden Moment meiner Reise genossen bis zum allerletzten Tag. Ich bin wieder auf den Roller gestiegen, bin in den Weltmeeren geschwommen und in die Tiefen getaucht, habe einen riesigen Mantarochen gesehen, der keine zwei Meter über meinem Kopf hinweggeschwommen ist. Ich hatte keine Angst. Aber eines war seitdem anders. Mir war das Ziel, meine Vision klar: Ich möchte wieder sicher nach Hause zurückkehren! Ich will aber auch jeden Moment in vollem Bewusstsein erleben, ihn genießen und Freude empfinden.

Lass mich nun deine Reise von oben übertragen auf unser Leben: die neunmonatige Vorfreude ist die Vorfreude, die unserer Eltern hatten, als wir unterwegs waren. Sie haben alles vorbereitet, für den Tag, dass wir geboren werden. Die ersten Ziele, die ersten Orte, die wir auf jeden Fall erreichen wollten, auf jeden Fall erkunden wollten, sind die Ziele, die wir uns privat als auch beruflich gesteckt hatten und wir teilweise bestimmt auch erreicht haben. Doch das letzte Drittel unserer Reise, worüber wir uns eigentlich nicht so viel Gedanken machen wollen, ist unser Leben im Alter. Wir beschäftigen uns viel zu wenig und zu selten aktiv mit dem letzten Abschnitt unseres Lebens.

Aber höre doch mal in Dich hinein: Welche Ziele möchtest Du im Alter noch stecken? Welche Pläne hast Du? Was möchtest Du erleben und wie soll es dir dabei gehen? Was ist Deine Vision über Dein Leben im Alter?

Lasst uns proaktiv mit dem letzten Drittel unseres Lebens beschäftigen, jetzt die Entscheidungen treffen und heute den Weg wählen, welche uns nützlich sind für unsere ganz eigene Vision von morgen. Lasst uns so jeden Tag in vollem Bewusstsein erleben und lasst uns dann, am Tag unserer Abreise auf unsere Reise zurückblicken und sagen: „Oh Ja! Ich bin rundum zufrieden! Ich bin glücklich! Ich bin dankbar für jede Entscheidung, die ich für meine Vision getroffenen und gelebt habe. Außerdem nehme ich meine Reise so an, wie sie war – mit allen Höhen und Tiefen. Ich bereue nichts.“

Machst Du mit? Es liegt an Dir. Es steckt in Dir. Ich nehme Dich mit.

Herzlichst,

Catharina M. Klein